Das Zelt wackelt, der Regen prasselt auf die Außenwand und der Wind heult durch die Bäume – es gab schon ruhigere Nächte auf unserer Reise. Entgegen des Trends der letzten Tage lassen wir uns aber heute nicht so leicht davon abbringen Aufzustehen. Heute blicken wir dem ungemütlichen Wetter ins Gesicht und sind fest entschlossen, ihm zu trotzen.
Als Grundlage dafür sollen die restlichen Bratkartoffeln vom Vorabend und eine dicke Nutella-Schnitte dienen, welche wir schnell in der geschützten Grillhütte einnehmen. Nachdem das Reisegepäck inklusive uns wasserdicht verpackt ist, geht es raus in den Sturm. Der Wind bläst uns mächtig entgegen und sät erste Zweifel, ob die 77 Kilometer heute vielleicht etwas weit gegriffen sind. Aber erstmal rein kommen ins Treten. Die Strecke verläuft heute eher kurvig an der Küste entlang. Das bedeutet mal Rücken- und mal Gegenwind.

Von oben bekommen wir derweilen alles ab, was der Wettergott auf Vorrat hat – von Regen über Schnee bis hin zu Graupel und Hagel. Doch wir kämpfen uns tapfer durch jede Sturm- und Hagelböe. Nach den ersten Kilometern macht sich nur etwas Unruhe breit. Grund ist aber nicht das chaotische Wetter.
Eine freundliche Mail mit der Erinnerung, dass heute die Rückmeldefrist für das anstehende Referendariat endet, ist eingetrudelt. Ein dazu passender Brief fehlt aber noch. Schnell horchen wir bei den zuständigen Stellen in der Heimat nach – kein Brief da, aber die letzte Briefkasten-Leerung auch schon ein paar Tage her. Ein paar Minuten später haben wir zumindest eine Leerung des Briefkastens und eine Fotoservice organisiert. Nun heißt es erst mal warten und weiter radeln.
Als neue Geschmacksnote im Wettercocktail kommt dann auch nochmal die Sonne durch, ehe es wieder mit Schneien beginnt. Leider passiert der Wetterumschwung zur denkbar ungünstigsten Zeit direkt vor einer super steilen Brücke. Beim heranfahren sieht es so aus, als sei sie für Schiffe hochgeklappt – ist sie aber nicht. Hier hätte man sich kaum ein schlechteres Wetter wünschen können als Schnee-Hagel und starken Gegenwind. Aber wir kommen rüber und sind nun schon mal auf der richtigen Insel.
Eine kleine Kirche im nächsten Dorf verwehrt uns dann auch noch eine kleine geschützte Verschnaufpause, da geschlossen, so wie alle Kirchen hier im Norden. Die Pause machen wir daher ein paar Meter weiter hinter einem Trafohäusschen, gezwungenermaßen. Denn der Hagel hat mittlerweile die Größe von Puffreis angenommen und kommt Dank dazugehörigen Wind nun auch noch horizontal. Das ist wohl jetzt der Tiefpunkt des Tages. Kaum mehr als 2°, die Hände und Füße sind nur noch Eisklumpen und der anvisierte Campingplatz noch 30 Kilometer entfernt.
Als der Hagel nachlässt und ein blaues Wolkenloch in Sicht ist, müssen wir wohl oder übel weiter. Jetzt geht es auch erstmal nicht mehr frontal gegen den Wind. Die Sonne sorgt für etwas Wärme und Erheiterung, trotzdem geht es nur zäh voran. Da hilft auch nicht der Anblick der atemberaubenden Berge, die sich vor uns auf tun. Wir wollen nur noch ankommen.
Das Wetter ist wieder etwas trüber, als wir an einem kunstvoll gestalteten Rastplatz ankommen. Besonderes Highlight laut Google ist die Toilette mit Meerblick. Für uns sind es aber zwei überaus nette Niederländer, welche wohl bei dem Wetter nicht mit Radreisenden gerechnet haben. Mit großen Augen und breiten Lächeln laden sie uns auf eine Tasse heißen Tee in ihren Wohnwagen ein. Genau das, was wir jetzt brauchen. Rund eine halbe Stunde dürfen wir die ersten Gäste im neuen mobilen Eigenheim der Pensionäre sein. Wir sind so glücklich und dankbar für diese nette und zuvorkommende Begegnung.
Neben der überraschenden Unterstützung aus den Niederlanden erreichen uns zur selben Zeit auch weitere gute Nachrichten aus der Heimat. Der wichtige Brief hat sich angefunden und wurde per digitaler Brieftaube aufs Smartphone gesendet. Die noch besseren Nachrichten stehen im Brief selbst, bleibt doch auch in den kommenden Monaten alles beim Alten. Es fand sich doch noch ein Platz in Dresden für die praktische Lehramts-Ausbildung.
Etwas aufgewärmt, mit besten Nachrichten im Gepäck und mit Rückenwind geht es nun gleich viel besser auf die letzten 20 Kilometer. Die Sonne zeigt sich nun auch nochmal und wir kommen bestens voran. Jetzt bleibt auch ein bisschen Zeit die unfassbare Natur zu bestaunen – die Berge, das Wasser und die Farben – einfach einmalig. Auf den letzten Metern begleiten uns auch noch ein paar Seeadler und demonstrieren stolz ihre gigantischen Flügel. Aufgrund ein paar technischer Schwierigkeiten gibt es noch kein richtiges Foto. Vielleicht bekommen wir nochmal die Gelegenheit.
Pünktlich zum nächsten Schneeschauer sind wir am Campingplatz. Hier müssen wir unser Zelt erstmals komplett abspannen, sonst ist es wohl bald ein fliegendes Zuhause. Nachdem wir das erfolgreich geschafft haben, begeben wir uns schnellstmöglich in die Küche. Hier ist es gut geschützt und wir können in aller Ruhe unsere Nudeln zubereiten. Die Nacht wird nach diesem verrückten Tag sicherlich wieder spannend.
Tagesausgaben
Campingplatz – 23 €
Etappe

⚠️ Die Farbcodierung bezieht sich heute auf unsere Geschwindigkeit.
Punkt mit Zahl = 5 km Zwischenziel